#Rafik Schami #2020 #Mai #Literaturhaus Basel

Freitag, 1. Mai. 20, 15:00 Uhr

Literaturhaus Basel
«home delivery» liefert Ihnen ab sofort in unregelmässigen Abständen Texte frei ins Haus: Damit wir den Kontakt zu unseren früheren und zukünftigen Gästen trotz Covid-19-Isolation nicht verlieren und damit Sie, liebes Publikum, trotzdem aus erster Hand erfahren, was die Schriftsteller*innen zu sagen haben, haben wir einige von ihnen gebeten, etwas für Sie zu schreiben. Das Thema ist offen, die Autor*innen haben carte blanche. Ausserdem weisen wir mit kurzen Ausschnitten auf Bücher hin, die im Literaturhaus hätten vorgestellt werden sollen.


Wenn Oskar sprach, kamen nur Lügen aus seinem Mund. Seine Mutter sagte, das sei bei ihm schon immer so gewesen, aber sie finde es nie langweilig, was er erzähle.

Sein Vater sagte gar nichts mehr dazu. Er wurde zornig, wenn Oskar zu erzählen begann und die Leute dann laut lachten.

Und wirklich log Oskar das Blaue vom Himmel herunter und Wolken in den klaren Sonnentag hinein. In seinen Geschichten nahmen Katzen in Timbuktu vor winzigen Mäusen Reissaus. In Honolulu flöteten zwei Affen Mozarts Kleine Nachtmusik. In Kanada fielen Schneeflocken, so gross wie Bratpfannen. Und auf Hawaii backten Bäcker eine Nussecke mit den Ausmassen eines Fussballstadions.

Als er vom leckeren Feingebäck schwärmte, wollte ein Nachbar ihn aufziehen: «Woher weisst du das denn? Warst du etwa auch zu dieser gewaltigen Nussecke eingeladen?»

«Ja, und hier hab ich noch ein kleines Stück davon», erwiderte Oskar frech, zog eine Papiertüte aus der Tasche und warf sie dem Nachbarn zu. Und wirklich war ein altes Stück Nussecke in der Tüte. Auf der Tüte stand: Konditorei Hawaii, und in der ganzen Stadt gab es keine Konditorei mit diesem Namen. Nun lachten die Leute den Nachbarn und nicht Oskar aus.